Ossi sein.

Ossi sein.
Photo by Marcus Lenk / Unsplash

Ist nicht gerade einfach. War es wahrscheinlich nie, aber es ist so. Ich bin einer. Meine Podcast-Partnerin übrigens auch, und wir haben in der letzten Episode viel über Literatur gequatscht:

Und natürlich möchte ich euch auch die Folge mit meinem lokalen Lieblingscomedian nicht vorenthalten, der nun Weimar unsicher macht:

Manchmal weiß ich nicht mehr, worüber ich alles geschrieben habe. Vielleicht habe ich das Thema auch einmal angekratzt. Hier zum Beispiel, wo ich herkomme. Mein ganzes Leben lang habe ich versucht meine Herkunft, meine Heimat, ja, meinen Hintergrund zu erörtern. Ich träumte mich viel weg. Schon als kleiner Stöpsel war ich anders sozialisiert und von Sachen begeistert, die sagen wir mal: eher nieschig zu sein scheinen. Wrestling. Das mit den eingeölten massiven Männlichkeitsphantasien. Das war zum Beispiel meins. Aber auch Power Rangers und Jackie Chan Filme - wegen dieses Mannes fand ich mich auch irgendwann für 8 Jahre in China wieder. Ich wollte nur weg. Weg aus dem Erzgebirge. Die Welt entdecken, vielleicht sogar als Shaolin-Mönch irgendwo einfach nur machen, was die so machen. Das hat die Realität irgendwann korrigiert.

Ich hab mal auf einem Heimweg (anderthalb Kilometer) den kompletten ersten X-Men-Film einem Kumpel frei vorgetragen. Ich hoffe, es hat ihn interessiert. Er hat auf jeden Fall für die 40-Minuten gut zugehört. Egal, ich wollte immer weg, weiter raus. Davor wollte ich sogar einmal Trucker werden. Das bin ich zum Glück nicht geworden, der Kumpel, mit dem ich fantasiert habe, aber schon. Ich zog in die nächste Stadt, allein, mit 16 und machte dort mein Abitur. Da ging das noch nicht los, mit dem aktiven Vergessen meiner Herkunft, das wurde später so. Irgendwann fand ich mich in Zwickau wieder. Alles umgemeldet, alle Sachen aus dem Erzgebirge mitgenommen und dann wollte ich auch Zwickauer sein. Dort war mir auch vieles fremd und nicht in der guten Art und Weise: Leben geprägt von Fußball und Finanz-/Versicherungsvertrieb und Vorbilder, die ehrlich keine sein sollten, aber mit Anfang 20 ist man sehr beeinflussbar. Ich bog mich zu einer Person hin, die ich heute sicher nicht besonders leiden könnte. Dann war ich irgendwann während des Studiums schon einmal ein Jahr in China. Ein Intermezzo mit einem bestimmten Start und einem bestimmten Ende. Eines Tages auf dem Sofa sitzend, wütend auf die Elterngeneration (weiß auch nicht mehr warum) nahm ich den erstbesten Job in München an. Recruitment. Nach dem Studium stimmte da das Geld und in München fühlte ich mich schon auf ein paar Reisen ganz wohl. Ich bin eines der Kinder, die folgenden Satz regelmäßig hörten: "Warum sollen wir den ins Ausland reisen, wenn wir Deutschland noch gar nicht gesehen haben?" - das war aus der Not geboren und auch zum größten Teil wirklich so.

In München dann dasselbe Spiel, wie in Zwickau. Ich sah meine Zukunft. Ich war weg. Ich hatte eine neue Kultur und ein neues Leben und damit auch eine Heimat, in der ich aufgehen konnte. Ummeldung, nach und nach alle Sachen dahin transportieren (war am schwierigsten bei meiner Büchersammlung) und dann nicht mehr der Ossi sein. Sondern der Typ, der mal in China war, studiert hat, seit er 16 ist, allein sein Leben bestreitet und jetzt halt cooler Münchner ist. Ungelogen jeden Tag ist mir aber bewusst gemacht worden, dass dem nicht so ist. Ich war der Ossi. Der, der ein bisschen komisch spricht (obwohl ich mir zu diesem Zeitpunkt mein Erzgebirgisch fast vollständig abtrainiert hatte). Bei Ämtern und auch bei Freizeitveranstaltungen außer beim Brazilian Jiu-Jitsu/MMA war ich einer, der nicht so richtig dazugehört. Ich hatte nicht genug Geld oder habe "falsch" gesprochen oder hatte nicht die Merkmale, an denen man Münchner erkennt. Ich habe sogar versucht inklusive Nummernschild wirklich alles umzumelden, um ein richtiger Münchner zu sein. Diese Zeit fand nach schon 5 Monaten ein Ende und ein Flug, ohne Rückreise nach Shanghai war gebucht.

Selbes Spiel in Shanghai. Ich wollte nun ein Expat in Shanghai sein. Ich hatte chinesische Apps, eine chinesische Bank und irgendwann auch einen Amazon-Account in China (völlig sinnlos, musste ich wieder auf den deutschen ändern). Mir war klar, ich war kein Chinese, aber auch kein Ossi mehr. Ich war Expat. Aber auch da gab es Qualitätsunterschiede. Entsendete, mit tollen Verträgen und viel Geld und Hopsassa, um sich an die Fremde anzupassen, aber auch um nach vielleicht 2 Jahren definitiv wieder zurückzukehren. Ich war froh den Rückkehrteil mit meinem eigenen Entscheiden umgangen zu haben, aber ein reicher Expat mit Entsendungsvertrag war ich auch nicht. Ich war wieder ein Außenseiter. Einer, der freiwillig weniger verdient, aber dafür Freiheit hat. Kein Ossi mehr. Hat dort niemanden interessiert. Nie.

Irgendwann habe ich mich für eine Rückkehr entschieden. Nach Deutschland. Ins Erzgebirge sogar. Kleiner Exkurs, das habe ich, unter anderem mit dem Adenauer Kreuz gemacht: "Adenauer war musste oft wichtige Entscheidungen treffen und Zeit war auch oft im Mangel. Er nutzte dafür ein Kreuz, um schneller und besser Entscheidungen zu treffen. Ihr wisst, wie ein Kreuz aussieht. Dann oben links pro/positiv und oben rechts contra/negativ. Unter den positiven und negativen Überschriften listete er Argumente auf. Jedes Argument bekam dann eine Gewichtung und eine Zahl von 1 bis 5. Die Summe und die Abwägung wurde dann mit der Zahl getroffen." - Es sah gut aus. Besser als je zuvor. Überall wurden Arbeitskräfte gesucht. Der Arbeitslosenstand niedrig und ich fand auch schnell eine Beschäftigung. Währenddessen entscheidet sich meine Mom, mit ihrem Freund in die Lausitz zu ziehen. Ich identifizierte mich auf einmal mehr mit meiner Heimat. Mit dem Erzgebirge. Die Welt war rosig. Schön. Handballschiedsrichterkurs gemacht. Das Freibad im Ort mit aufgehübscht. Mich lokal eingebunden und einbinden lassen. Ich war auf einmal zu Hause. Eine Heimat war spürbar. Ich hab allerdings den kleinen Björn vergessen. Den rebellischen Shaolin-Kämpfer, den Wrestling-Fan und den, der sich in der Großstadt wohlfühlt.

Ich liebe das Erzgebirge immer noch. Es ist Teil meiner Heimat, meiner Geschichte, genauso wie Shanghai (nicht so wie München, dafür waren 5 Monate zu kurz) und ich mache jetzt Comedy über das Erzgebirge und meine Geschichte und Erlebnisse. Ich spreche absichtlich und mit Freude Erzgebirgisch, es ist ein Teil von mir. In meiner Welt und aus meiner Sicht sollte es keine negative Beschreibung als Ossi oder Wessi geben, aber diese Begriffe und Unterscheidungen sind da. Zurecht oder nicht - das ist nicht meine Entscheidung. Wenn uns diese Unterscheidungen dienen und auch das positive hervorheben, dann kann das sogar gut sein. In vielerlei Hinsicht bin ich als ein im Osten sozialisiertes Kind und Jugendlicher immer noch benachteiligt. Meine Elterngeneration ist zum größten Teil sehr schnell und effektiv über den Tisch gezogen wurden und das Resultat wurde als menschliche Wärme verkauft. All das ist aber kein Grund, Neonazis und Faschisten zu wählen. Irgendwann in den 34 Jahren nach der Wende mussten wir dann Eigenverantwortung, lebenslanges Lernen und Demokratie lernen. Wir müssen alle, ob Ost oder West in einer komplexer werdenden Welt klarkommen. Da bekommen wir die Realität nicht hingebogen. Das bleibt. Ich bin genau so Ossi, wie die absoluten Realitätsverweigerer, die im Moment auf eine blau-braune Partei setzen. Und das bleibt so wie es ist.

In der Comedy-Szene, die mich seit 2 Jahren stark prägt und der Musik, die mich schon immer schwer beeinflusst und über die Runden bringt, finde ich unglaublich viel Kraft und Bestätigung für meine Haltung. Deshalb entlasse ich euch dieses Mal mit einer aktuellen und unglaublich guten, sowie thematisch treffenden Kollaboration von den Donots und Heaven Shall Burn (eine meiner absoluten Lieblingsbands):

Keinen Schritt zurück! Ich bin auch ein Ossi und viele meiner Freunde - das ändert keiner und wir sind genau so Teil der Welt, wie die skandierenden "Wir sind das Volk"-Schreier. Habt auch mal Mut und zeigt die positiven Ossibeispiele. Ich geh schonmal vor.